Patricia Wolfensberger

Event #02 – Die Stadt als Klang-Bühne

Der zweite Event widmet sich der Stadt als Klangbühne. Die Stadt bietet eine breite Palette an Klangerlebnissen. Als immaterielles Phänomen ist Klang nicht fassbar, schwer zu beschreiben und meist nur über Direktheit erahnbar. In unserem Alltag sind wir hauptsächlich auf die für uns „direkt dienlich-nützlichen“ Klänge konzentriert und filtern den Rest aus. Und doch sind wir diesem Rest der Geräusche tagtäglich ausgesetzt, auch wenn wir sie bewusst ausfiltern, wir können uns ihnen gegenüber nicht verschliessen. Gerade im urbanen Raum mit seiner breiten Palette an Klängen und Geräuschen wirft diese Thematik verschiedene Fragen auf. Welche Klänge filtere ich aus der ewig wachsenden Geräuschwolke der Stadt? Wie können wir bewusster mit den Klängen um uns umgehen? Welche verborgenen Potentiale bergen Geräusche? Was hat eine Stadt klanglich zu bieten? Wie verhalten sich Raum und Klang zueinander? Was können wir von ihnen lernen und gibt es neu zu entdecken? Jede der fünf gezeigten Positionen präsentiert ihre eigenen Facetten im Umgang mit Raum und Klang. Der zweite Event Stadt(t)räume als Klangbühne, versteht sich als Plattform für einen regen Austausch zu Klang und Raum. Die einzelnen Arbeiten sollen zu Diskussion anregen, Fragen aufwerfen und einen neuen Umgang mit der Welt der Geräusche ermöglichen.

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Befinden wir uns vor dem Markgräflerhof sehen wir ein ruhig pulsierendes Fenster. Es spricht vom Leben dahinter, weckt unsere Neugier. Das Licht dehnt sich in den Aussenraum und zieht sich wieder zurück. Dieses ruhige Atmen hüllt uns ein und scheint uns sogartig in den Raum zu ziehen. Innen werden wir von einem Vorhang an kleinen Innenfenstern hängend vom Raum getrennt. Durch die kleinen „Oberfenster“ fallendes Licht entsteht ein von links nach rechts der Decke entlang wanderndes Abbild und lässt ein aussen vorbeifahrendes Gefährt vermuten. Es entsteht ein Moment der Irritation. Die Erfahrung des Aussenraumes verkehrt sich ins Gegenteil, Innen und Aussen werden auch hier verschränkt, jedoch in umgekehrter Weise. Rhythmisch wiederholt wird es von einem metallisch leicht kratzenden Geräusch begleitet, das im Gleichklang mit dem atmenden Raum an- und abschwillt. Zieht das Licht mit seiner Helligkeit in die Höhe, wirkt der Ton von einer tieferen Ebene und eröffnet einen Spannungsraum. Treten wir in den Raum werden unsere vorgängigen Erfahrungen auf den Kopf gestellt, alles löst sich in reinen Rhythmus von Licht und Klang auf, wir werden von dem pulsierenden Licht- und Klangatmen erfasst und teil dieses Phänomens. 

In der Installation Generator (2012) von Christine Camenisch und Johannes Vetsch (beide *1956, leben und arbeiten in Basel) sind die immateriellen Mittel Klang und Licht gleichzeitig Motiv und Erfahrung. Dabei verschränkt sich Aussen – Innen, sei es in der räumlichen Positionierung der BetrachterIn, sowie der inneren Wahrnehmung oder bezüglich der scheinbar räumlich-materiellen Begrenzungen. Licht lässt erscheinen, macht sichtbar, projiziert, dehnt sich aus, überschreitet, löst architektonische Begrenzungen auf und lässt schlussendlich alles wieder in der Dunkelheit verschwinden. Unsere Wahrnehmung wird hinterfragt und erweist sich als Illusion/Projektion, sobald wir einen anderen Standpunkt einnehmen. Erst im Inneren, wo wir mit Klang und Licht atmen, wird der Raum als negativer Raum oder Leerraum durch Licht und Klang erfahrbar.

«Generator», 2012



Die im Gang sich akustisch ausdehnende Rauminstallation The Spatial Aural Exciter (2012) von Samy Kramer (*1977, lebt und arbeitet in Helsinki, Finnland) besteht aus einzelnen Modulen, die zu einem Netz verbunden werden. Dies ermöglicht Kramer auf die jeweilig vorgefundene räumliche Situation einzugehen und zu reagieren. So geht er auch hier auf die spezielle räumliche Begebenheit ein. Die heutige Gangsituation im Innenraum, war einst eine öffentliche Gasse, worauf der Spitzbogen und die hölzernen Türklappen noch als Relikte verweisen. In die bereits verwobene Architektur von Innen- und Aussenraum fügt Kramer seine Installation ein und verändert mit subtilen Mitteln die Gangsituation zu einer Raum-Klang Erfahrung. Sichtbar breitet sich von unten gegen oben dieses Klangnetz in den Raum aus. Die Geräusche der einzelnen Module vermischen sich mit den unmittelbar benachbarten und weben an einem stetig neu entstehenden Klangteppich. Es sind Klänge die wir normalerweise im Alltag aus dem aktiven Hörprozess ausschliessen, jedoch zum allgegenwärtigen Klangkonglomerat des urbanen Raumes gehören. Hier werden sie zu einer eigenen Geräuschkulisse, die innere Bilder aufsteigen lässt, sei es das chaotische Treiben inmitten einer City oder das entfernten Rauschen, welches zum nächsten Hügel emporsteigt.

Die subtil hörbaren Veränderungen der Geräusche lassen eine Bewegung des Klangteppichs erahnen, scheinen sich auf das Netz zu übertragen und dieses imaginär in Bewegung zu setzen. Bewegen wir uns im Raum, verändert sich wiederum der Raumklang und wir werden zu aktiven MitgestalterInnen eines eigenen Klangteppichs.
Die Installation The Spatial Aural Exciter (2012) lässt uns das Zusammenspiel von Klang, Raum und Bewegung erfahren. Sie verweist auf die raumnehmende und „musikalische“ Dimension der urbanen Hintergrundgeräusche und verwandelt die Durchgangssituation zu einem klanglichen Erfahrungsraum. Ganz im Sinne Kramers: „The way we listen is part of how we see the world.“

The Spatial Aural Exciter – Audiospur 32''



Während wir uns ins Untergeschoss begeben, taucht bereits auf der Treppe ein neuer Klang auf, erst unmerklich und immer klarer, ein kaum ortbares Zirpen.  Mitten in der weissen Wand hängt die Arbeit Fridolin (2012) von Andreas Frick (*1964, lebt und arbeitet in Basel). Ein kleines rotes Schächtelchen mit Glasabdeckung zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich. Das sich wiederholende Zirpen tönt uns aus der kleinen Box entgegen, jedoch ohne darin eine Grille zu entdecken. Erst der Ton beschwört die Abwesenheit der Grille hervor und lässt uns die Restspuren, welche auf eine ehemals lebende Kreatur verweisen, entdecken.

Das Schächtelchen umfasst den Leerraum des Gewesenen, das über den Ton und unsere Assoziation imaginär wieder belebt wird. Somit verweist es auf die Vergänglichkeit und kann auch als ein „in Gedenken an ...“ im Jetzt verstanden werden.
Fridolin ist während Fricks Atelieraufenthalts in Shanghai entstanden. Grillen werden dort auf dem öffentlichen Markt in diesen Schachteln verkauft. Zu Hause in einem Käfig als Haustiere gehalten erfreuen sich die Chinesen an dem melodiösen Zirpen. Während in unseren breiten Graden dies Zirpen vor allem in der Natur erlebt wird, verteilt es sich in Shanghai in den Gassen der Wohnquartiere. Inwiefern das Zirpen der Grillen und sie selbst, als Platzhalter für die in einer Grossstadt wenig vorhandene Natur stehen oder indirekt auf die unmittelbare Abwesenheit dieser verweist, bleibt offen.

Fridolin – Audiospur 6'26''



Marco Douma, Roel Meelkop und Rutger Zuydervelt (*1965 Visuals/*1963/*1978 Sound, leben und arbeiten in Rotterdam, Holland) lassen uns mit ihrer Audio-Video-Installation Pierdrie (2012) in eine ruhige, bildlich-klangliche Stimmung eintauchen. Der Titel verweist auf das Pier3 des Rotterdamer Waalhaven, den Ausgangspunkt ihrer Aufnahmen.

Der 18-minütige Loop präsentiert uns das Pier3 aufgenommen vom Tag bis zum nächsten Morgengrauen, einmal durch die unterschiedlichen Stimmungen innerhalb von vierundzwanzig Stunden. Fernsicht und Nahaufnahmen wechseln sich ab und sind zu abstrakten Stimmungsbildern verwoben. Die weichen Klänge, welche über die Distanz des Wassers aufgenommen worden sind und die Härte der metallenen Klänge dimmen, tragen genauso zu der ruhigen und weichen Stimmung bei, wie die langsamen Kamerafahrten. Ihr meditativ-atmosphärisches Klang-Bild des Hafens, hat die unterschiedlichen Aspekte des Pier3 in poetischer Weise eingeflochten; ruhige Bewegungs-Symphonien der schweren Metallmaschinen, riesige Kräne präsentieren sich stolz drehend für die Nahaufnahme und Wasserreflektionen verwandeln sich zu abstrakter Malerei. Trotz des meditativen Grundtones bleiben Irritationen nicht aus, sei es wenn Spiegel- und Objektbild verwischen oder in den nächtlichen Schatten ein U-Boot-artiges Objekt aufzusteigen scheint und die unheimlichen Seiten zeigt. Pier3 nimmt uns mit auf eine Reise durch Zeit und Raum des Hafens, unserer Assoziationen und verflechtet visuell-akustisches zu einer neuen Erfahrungsebene und Sichtweise dieser urbanen Zone.



Eine andere Reise ermöglicht uns Florian Tuercke (*1977, lebt und arbeitet in Nürnberg, Deutschland) mit seinen zwei AudioBikes, die ausgestattet mit Mikrophon und Kopfhörern, eine ganz eigene Hörerfahrung im öffentlichen Raum ermöglichen. Mit zwei unterschiedlichen Modi ausgestattet lassen die Klappräder die Tour durch die Stadt zum akustischen Erlebnis werden. Während der Fahrt durch die Stadt im aktiven Modus, werden durch die Fahrt hervorgerufenen Erschütterungen und Schwingungen im Fahrrad auf ein fixiertes Gehäuse mit zwei im musikalischen Verhältnis gespannten Saiten umgeleitet und dann auf die Kopfhörer übertragen. Horizontale sowie vertikale Schwingungen werden transformiert und auf je einem Ohr akustisch erfahrbar. Im zweiten Modus werden die Geräusche des unmittelbaren Umfeldes einbezogen und via Mikrophon und Schallwandlung zu den Kopfhörern geleitet. An ausgesuchten Stellen im urbanen Raum kann so die Umgebung auf stadt-musikalische Weise erlebt werden. Während den Zwischenfahrten von einem akustischen Spot zum nächsten bleiben die Geräusche ganz auf die Erschütterungen und Schallwellen des Velos konzentriert.

Tuercke ermöglicht es uns, den Stadtraum als akustisches Klangstück zu geniessen.
Bereits seit 2005 ist er mit seinem Projekt Urban Audio in unterschiedlichen Städten unterwegs und nimmt mit eigens generierten Schallwellenumwandlern Stadtgeräusche auf. So entsteht ein akustisches Archiv der unterschiedlichen urbanen Räume, als ein Ausschnitt einer jeden Stadt, zu gewisser Zeit und in ihrem Raum.

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